Freitag, 8. März 2013

KRIEG STATT FRIEDEN! Greenpeace Magazin 4.08


Krieg statt Frieden

greenpeace magazin 4.08
Deutschland ist Europameister im Waffenexport. Mit Rüstungslieferungen in großem Stil heizt unsere Industrie weltweit schwelende Krisen und Kriege an. Militärisches Gerät gelangt in Spannungsgebieten in die Hände von zwielichtigen Truppen. Und der Bundestag schaut weg.




Im Süden des Sudan hat Mareike Schomerus den Blick für die Details bekommen. Die 36-jährige Entwicklungsforscherin kann mittlerweile eine Dragunow von einer Duck Gun unterscheiden, ein Gewehr aus dem Osten von einem westlichen Fabrikat. „Vorherrschende Waffe ist die russische Kalaschnikow“, sagt sie, „aber auch das deutsche G3 von Heckler & Koch sieht man häufig“. Im Auftrag des „Small Arms Survey“, einer unabhängigen Forschungsgruppe aus Genf, analysiert sie, warum die Nachbarstaaten Sudan und Uganda nun schon über viele Jahre so instabil sind.

Auf Märkten und im Schwarzhandel kommt dort jeder leicht an ein Gewehr. Auch die Zivilbevölkerung ist praktisch durchgängig bewaffnet, um sich zwischen verfeindeten Armeen, Milizen und kriminellen Banden zu schützen. Mareike Schomerus spricht nach mehreren Aufenthalten in einer der unruhigsten Regionen Afrikas „in einer fast familiären Atmosphäre“ mit den Kämpfern. Nur so bekommt sie delikate Informationen darüber, wer mit welchen Waffen schießt.

Das G3 war lange Jahre das Standardgewehr der Bundeswehr. Bis in die 80er-Jahre vergaben der Hersteller Heckler & Koch (Oberndorf) und die Bundesregierung großzügig Herstellungsgenehmigungen ins Ausland, auch nach Pakistan und in den Iran. Die G3-Gewehre, mit denen in Afrika geschossen wird, stammen wahrscheinlich aus solchen Lizenzproduktionen. Als im März bürgerkriegsähnliche Unruhen in Kenia wüteten, kam diese Waffe zum Einsatz. Laut Roman Deckert vom Berliner Informationszentrum für transatlantische Sicherheit (BITS) stammt das deutsche Gewehr aus englischen Fabriken. Der Nachbarstaat Uganda rüstete dagegen mit französischen Lizenzprodukten des G3 auf, als die Bundesrepublik dessen Ausfuhr nach Afrika verbot. Deckert schildert auch, wie sich der Sudan aus verschiedenen Quellen mit den gleichen Waffen versorgte: „In den 60er- und 70er-Jahren lieferte die Bundesrepublik, in den 8oern Saudi-Arabien, und seit den 90ern Iran und Pakistan aus ihren Lizenzfertigungen.“

Die staatliche Rüstungsfabrik Pakistan Ordnance Factories wirbt mit deutscher Kompetenz: „Mit Technologie, die wir von Weltmarktführern der Kleinwaffen erworben haben, namentlich H&K und Rheinmetall aus Deutschland, enthält das Sortiment der Infanteriewaffen von POF jetzt verschiedene Versionen des Gewehrs G3, der Maschinenpistole MP5 und der Selbstverteidigungswaffe SMG-PK.“ Die SMG-PK gleicht der Maschinenpistole MP5K von Heckler & Koch bis ins Detail, es handelt sich offensichtlich um eine Kopie. Auf diese Weise emanzipieren sich die Pakistani von den deutschen Ingenieuren. Aber auch der Iran, nicht unbedingt ein Waffenbruder der Bundesrepublik, profitiert von deutscher Wehrtechnik. Er hat ebenfalls mehrere Versionen des G3 im Angebot, von denen er Anfang der 90er-Jahre angeblich 50.000 Stück in den Sudan geliefert hat. Die kontinuierliche Versorgung soll das G3 zum zweithäufigsten Gewehr im Südsudan gemacht haben. Wenn es stimmt, was Alexander Lurz, Kollege von Deckert beim BITS, über die pakistanische Geschäftstüchtigkeit mit dem deutschen Sturmgewehr herausbekommen hat, kann man sich über die abgeschlossenen Lizenzverträge nur wundern. Er vermutet das Gewehr in großer Zahl bei den irakischen Streitkräften: „Ende 2004 schlossen eine ira-kische Einkaufsdelegation und die Pakistan Ord-nance Factories einen Vertrag über die Lieferung von Waffen und Munition im Wert von 49 Millionen Dollar. Die Vertragsdetails sind nicht bekannt, das G3 war allerdings Teil des auf die irakischen Bedürfnisse zugeschnittenen Angebots.“

Anfang des Jahres wurde ein weiterer, verschlungener Vertriebsweg in den Irak publik: Durch die Zusammenarbeit von Heckler & Koch mit der privaten amerikanischen Sicherheitsfirma Blackwater kamen deutsche Gewehre in diesem Land zum Einsatz. Das zuständige Bundeswirtschaftsministerium bestreitet, eine Lieferung von H&K an Blackwater genehmigt zu haben.

Der Export von Waffen und Rüstungsgütern muss von der Bundesregierung abgesegnet werden. Über jede Patrone, die das Land verlässt, wird Buch geführt. Doch die Zahlen sind trügerisch: Die Waffen deutschen Ursprungs, die im Ausland hergestellt werden, tauchen in deutschen Statistiken nicht auf.

Die Bundesrepublik engagiert sich mit anderen Staaten seit Längerem für einen internationalen Vertrag, der die Ausfuhr von „small arms“ und „light weapons“ erheblich erschwert. Dazu zählen alle Waffen, für deren Bedienung oder Marschtransport maximal zwei Personen nötig sind. Gleichwohl profitieren auch deutsche Firmen von der Weigerung der USA, solch einen Vertrag zuzulassen.

Seit 1999 legt die Bundesregierung einen jährlichen Rüstungsexportbericht vor. Es ist jedoch schwierig, die Aussagen dieses Dokuments richtig einzuordnen. So vermeldet das Wirtschaftsministerium etwa, die Ausfuhr von Kleinwaffen an arme Länder sei von 2005 auf 2006 gesunken. Die „Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung“ (GKKE) rückt diese Aussage jedoch zurecht: Zwischen 1996 und 2006 hat sich die deutsche Ausfuhr beinahe verzehnfacht.

„Der Rüstungsexportbericht 2006 kann gar nicht debattiert werden“, sagt Paul Schäfer. Der Bundestagsabgeordnete der Linken ist Mitglied im Verteidigungsausschuss sowie im Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung. Dem Rüstungsexportbericht fehle die nötige Voraussetzung, sagt Schäfer, eine wichtige Formalie: die Bundestagsdrucksachen-Nummer. Ein Bericht, dem diese Nummer fehlt, kommt nicht auf die Tagesordnung des Parlaments, und sei er noch so wichtig.

Dieser Umgang mit dem Report über Rüstungskontrolle ist nicht zufällig. Als er dem zuständigen Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ende vergangenen Jahres zugeleitet wurde, trug er schon den Vermerk von Jürgen Grabowski aus dem Wirtschaftsministerium, Abteilung PA 9: „Eine Verteilung als Bundestagsdrucksache ist nicht vorgesehen“. Damit teilt die Datensammlung das Schicksal der Rüstungsexportberichte 2003, 2004 und 2005. Auch sie verschwanden in der bürokratischen Papierflut des Parlaments. Dies lässt nur einen Schluss zu: Die Betrachtung des Waffenhandels ist dem Ältestenrat des Bundestages offensichtlich nicht wichtig genug.

Die „Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung“ kritisiert dieses Desinteresse als „Armutszeugnis des Bundestages“. Paul Schäfer von der Linken sieht das auch so: „Es ist absurd, wie die Bundesregierung mit dem Rüstungsexportbericht umgeht.“ Schließlich sei weder die Rüstungsindustrie eine zu vernachlässigende Größe, noch die Art und Weise, wie Deutschland durch Waffenlieferungen außenpolitisch Einfluss nehmen will.

Die Bundesrepublik ist stolz auf ihre Position als Exportweltmeister. Der Beitrag der Rüstungsindustrie soll jedoch tunlichst verschwiegen werden. Dabei führen die Beobachter des Friedensforschungsinstituts SIPRI in Schweden Deutschland bei der Rüstungsausfuhr auf Platz drei, hinter den USA und Russland. Dem Bundeswirtschaftsminister ist das anscheinend nicht recht. Im Rüstungsexportbericht 2006 rechnet er die Aktivitäten dieser umstrittenen Branche klein. Er sieht Deutschland allenfalls auf Platz 6, hinter den USA, Großbritannien, Russland, Frankreich und China, gleichauf mit Israel und knapp vor Kanada. Die Friedensforscher in Schweden bedienten sich besonderer Methoden, heißt es, die Zahlen ließen sich nicht vergleichen.

Beim deutschen Rüstungsexport ging es 2006 immerhin um 7,7 Milliarden Euro. Neuere Zahlen gibt es nicht. Die Bundesregierung unterscheidet zwischen Einzelanträgen und Sammelbestellungen. 2006 waren die Sammelausfuhrgenehmigungen 3,5 Milliarden Euro wert (2005 waren es zwei Milliarden). Sie gelten politisch als unproblematisch, gehen sie doch in Nato-Staaten, Mitglieder der EU oder „vergleichbare Staaten“ wie die Schweiz, Australien oder Japan. Sie werden vor allem „im Rahmen der Zusammenarbeit bei regierungsamtlichen Koopera-tions-objekten“ erteilt. Diese Lieferungen werden nicht aufgeschlüsselt, weder nach Produkten noch nach Empfängern in den bevorzugten Staaten. Somit entziehen sie sich der öffentlichen Analyse. Bindende Verträge aus der Abteilung Sammelausfuhren haben schon für politische Skandale gesorgt. Zum Beispiel bei der Rüstungskooperation mit Frankreich, das den gemeinsamen Kampfhubschrauber „Tiger“ inklu-sive Raketenbewaffnung nach Libyen verkauft. 

Indien steigerte seine Militärausgaben zwischen 2002 und 2005 fast auf das Doppelte, von 12,3 Milliarden Dollar auf 20,4 Milliarden. Die Bundeskanzlerin legte Indien vor Kurzem nahe, sich doch mehr um die Armut im Land zu kümmern. Dieser Rat war nicht frei von Heuchelei, denn das aufstrebende Land kaufte Rüstungsgüter für rund 108 Millionen Euro in der Bundesrepublik.

Indien und die meisten anderen Schwellenländer sind inzwischen in der Lage, viele Rüstungsgüter und Waffen selbst herzustellen. In der Bundesrepublik wird
deshalb vor allem Hochtechnologie bestellt. Dazu gehören 120 Eurofighter, über die gerade verschwie-gen verhandelt wird. Indien wird für diese Kampfflugzeuge mehrere Milliarden Euro bezahlen müssen.

Der Eurofighter befindet sich noch in der Erprobungsphase. Hergestellt wird er von den vier Nato-Staaten Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien. Die Entwicklung war so teuer, dass die Regierungen von Anfang an auf den Export setzen mussten. Die Ausfuhr der Kampfmaschinen könnte allerdings gegen einen wichtigen Grundsatz verstoßen: mit Waffenexporten die regionale Sicherheit und Stabilität nicht zu gefährden. In Kaschmir tritt genau dieser Fall ein. Neben regelmäßigen Grenzscharmützeln haben Pakistan und Indien in den vergangenen 50 Jahren den Konflikt zweimal militärisch ausgefochten. Nach einem Terroranschlag auf das indische Parlament haben beide Staaten im Jahr 2001 an der Grenze ihre Mittelstreckenraketen in Stellung gebracht. Es bestand Anlass zu den schlimmsten Befürchtungen, schließlich verfügen beide Länder über die Atombombe.

„Mit Indien haben wir 2006 ein Abkommen über militärpolitische Beziehungen bis hin zu Rüstungskooperationen geschlossen“, sagt kühl der Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Bartels, SPD. Er ist Mitglied im Verteidigungsausschuss. Weil sich Indien und Pakistan darauf verständigt hätten, ihre Konflikte nicht gewalttätig auszutragen, jedenfalls nicht mit Nuklearwaffen, seien die beiden Staaten auf dem richtigen Weg. Der abrüstungspolitische Sprecher der Frak-tion der Grünen, Winfried Nachtwei, sieht das The-ma kritischer. „Die Lieferung von 120 Eurofightern wäre ein Beitrag zum regionalen Wettrüsten.“ Und damit nicht zulässig, nimmt man die Richtlinien der EU ernst.

Über Pakistan urteilt Madeleine Albright, die frühere US-Außenministerin: „Pakistan ist im Augenblick der gefährlichste Platz der Welt. Das Land vereint alle Elemente, die international am meisten Kopfschmerzen bereiten: Terrorismus, Atomwaffen, Fundamentalismus, Korruption, Armut. Bush hat gesagt, Präsident Musharraf sei ein zuverlässiger Partner. Ich bezweifle das.“ Berlin exportiert trotzdem den Schützenpanzer M113, Drohnen für die Luftaufklärung, und nun soll Pakistan auch noch drei U-Boote mit bester deutscher Brennstoffzellen-Technik bekommen. Sie macht die Langstreckentaucher anderen Schiffen überlegen. 1,3 Milliarden Euro muss das pakistanische Militär dafür bezahlen. Schon jetzt fressen dort Militärausgaben 40 Prozent des gesamten Haushalts und sind damit doppelt so hoch wie die Ausgaben für Gesundheit und Bildung. Wegen der unsicheren Entwicklung in Pakistan ist der Deal nicht ohne Risiko. Dieses trägt jedoch nicht die Industrie, sondern der deutsche Steuerzahler. Die Bundesregierung sichert das lukrative Geschäft mit Ausfallbürgschaften ab – eine bei Waffengeschäften  nicht zulässige Ausfuhr-Subvention.

Während Abgeordnete der Grünen und der Linken den Export von U-Booten stoppen wollen, sieht Hans-Peter Bartels von der SPD die Lage ganz anders: „Wir wollen gute Beziehungen zu Pakistan und wir wollen Militärbeziehungen zu Pakistan. Die Rüstungsgüter und militärischen Beratungsleistungen aus Deutschland tragen zur Stabilisierung des Landes und der Region bei.“ Eingefädelt wurde das Geschäft 2004, unter Rot-Grün. Bartels sieht deshalb auch keinen Politikwechsel beim Waffenexport: „Eurofighter nach Saudi-Arabien oder Indien sind kein Problem, das Gleiche gilt für U-Boote nach Pakistan. Sie eignen sich nicht, Repression nach innen auszuüben.“

Marc von Boemken vom Bonn International Center for Conversion (BICC) beurteilt den selben Fall ganz anders: „Pakistan erfüllt vier von acht Kriterien nicht, die die EU zur Leitlinie von Rüstungsexporten gemacht hat. Die Verletzung eines einzigen müsste schon zur Überprüfung von Exporten führen.“

Es sind freilich nicht U-Boote oder Atombomben, die in den weltweiten Kriegen und Konflikten die meisten Menschen töten. „Kleinwaffen sind die heutigen Massenvernichtungswaffen“, hat Kofi Annan schon 2001 festgestellt, lange vor seinem Schlichtungsbesuch im März in Kenia.

Im Nachbarstaat Sudan wäre Mareike Schomerus zur selben Zeit beinahe das Opfer betrunkener Soldaten geworden. Sie raubten ihr Auto, das Satellitentelefon, den Computer und das Geld. In letzter Sekunde konnte sie sich retten. Sie floh zu Fuß in den Busch, gemeinsam mit ihrem Fahrer und Dolmetscher. Die Soldaten hatten schon durchgeladen.

Text: Jens Meyer
Illustrationen: Christoph Niemann

http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=5321

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